2.28.2014

REZENSION: DIE HERRLICHKEIT DES LEBENS VON MICHAEL KAMPFMÜLLER



                                                                      Die Herrlichkeit des Lebens
                                                                      Michael Kumpfmüller
                                                                      Fischer Taschenbuch Verlag
                                                                      Frankfurt, 4. Auflage, Juli 2013
                                                                      258 Seiten

Ein sehr lesenswerter Roman, den ich allen empfehle, die sich nicht nur für Kafka interessieren, sondern auch denjenigen, die eine intensive aber auch unsentimentalische Liebesgeschichte lesen möchten.

Es ist sein letztes Jahr; endlich ist Kafka glücklich, besser gesagt: glücklicher als voher.  Er hat sich in eine Frau, 25 Jahre alt, d.h. fünfzehn Jahre jünger als er, verliebt.  Dora Diamant liebt ihn von ganzer Seele; diese Liebe wird in immer zunehmender Masse von Kafkas Krankheit geprüft, eine Probe, die sie glänzend übersteht. Vom ersten Gruss bis zu seinem Tode ist eine Strecke nur von knapp neun Monaten, aber vieles geschieht inszwischen.

Kampfmüller ist ein Meister der Untertreibung.  Er wusste dass der Roman hätte ein Schmachtfetzen sein können, so etwa wie eine deutsche telenovela.  Das hat er gut vermieden, indem er die Herrlichkeit der Liebe sowie die Schrecklichkeit des Todes, ohne Kommentar, wie auf einer Bühne abspielen lässt.  Seine Objektivität, seine Sachlichkeit selbst vor Kafkas schrecklichem Tod, ist meisterhaft--da sie keine Sentimentalität enthält, vertieft sie um so mehr den Eindruck auf die Leser.

Kampmüller hat mit verschiedenen Problemen des Stoffes gerungen--und sie vor allem mit seiner Untertreibungskraft überwunden.  Untersuchen wir jetzt jene Kraft mit ein paar Beispielen.

1. Die Physische Beziehung

Kafka hatte von Jugend an ein Auge für Frauen.  Zweimal verlobt, er hatte auch viele Liebesverhältnisse hinter sich und ging sogar als Junger ins Bordell.  Er war Vegetarianer--ein Aesthet in Bezug auf Tierfleisch--aber  ein Schlemmer in Bezug auf weibliches Fleisch.  Kampfmüller wusste, dass es wohl lächerlich sein würde, wenn er versucht hätte, den Leser gleichsam unter die Laken zu bringen.  Kafka ist zu sehr ein Ikon für solche Behandlung--sie würde genau so abstossend wirken wie eine genaue Beschreibung einer erfundenen Liebesaffäre von Jesus von Nazareth.

Kampfmüller bechreibt das erste Mal dass Dora und Kafka sich "biblisch kennen" indirekt, auf einer untertriebenen Weise, wie folgt--Kafka muss weg vom Strand, wo sie sich "unbiblisch" kennengelernt haben.  Am Abend vor seiner Abfahrt kommt Dora in sein Zimmer:

Als es klopft, nimmt er es anfangs kaum wahr, als würde er ein Klopfen nicht glauben, und dann ist es Dora.  Offenbar ist sie diesmal nicht gerannt, sie wirkt im Gegenteil sehr ruhig, etwas blass.  Geweint hat sie nicht, abe sie hat nachgedacht, sagt sie, den halben Abend drüben in der Kolonie.  Worun sie ihn von Herzen bittet, ist, die Reise zu verschieben, für einege Tage, denn morgen früh kann und darf er nicht fahren.  Ich bitte dich, sagt sie und noch einmal: Bitte.  Wieder sitzt sie auf dem Sofa, seltsam jung und ernst, als würde sie sich selbst am meisten wundern, dass sie gekommen ist.  Sie schüttelt den Kopf, sagt eine Weile nichts, dann: Sie habe nicht gewusst, dass es so schwer wird.  Aber dehalb ist sie nicht hier.  Ich habe nur immer gedacht, so kannst du night gehen.  Kannst du das?  Nein sagt er.  Vielleicht hätte er es gekonnt, aber jetzt nicht mehr.

Die ganze Zugfahrt hat er ihren Duft...
                                                                                               (S. 43)



2. Liebe auf den ersten Blick

Als Kafka, schon längst krank, am baltischen Strand ankommt, guckt er die Mädchen an.  Exakter: er guckt verschiedene Koerperteile der Mädchen an.  Er sieht mit Freude eine junge Frau, die in einer Buchhandlung in Berlin arbeitet; sie hat schon ein Buch von Kafka ins Schaufenster gestellt--sie kennt ihn also als Autor.  Sie lädt ihn zum Abendessen in einem jüdischen Ferienheim für Kinder, wo sie und Dora arbeiten.  Da sieht er Dora zum ersten Mal und starrt und starrt sie an.  Sie hat ihn voher am Strand gesehen, und fang schon damals an, ihn liebzuhaben--sie war sogar neidisch auf Elli, bis sie herausfand, dass sie die Schwester, und nicht seine Frau, war.  Seitdem sehen Kafka und Dora sich fast täglich--er lernt, dass nicht das  Äussere an ihr am schönsten ist, sondern ihre Persönlichkeit.   Dora hat nicht zuerst gewusst dass er ein (ziemlich) bekannter Schriftsteller ist; er hat nicht zuerst gewusst dass sie "nur" wohl ein einfaches jüdisches Mädchen aus dem Osten ist.  Hier, ohne Kommentar, lernt der Leser dass sie sich ohne Vorbilder kennengelernt haben. Es ist ein Fall der Liebe auf den ersten Blick. Der Autor erzählt  es nicht, sondern zeigt es uns, ohne Betonung.


3. Kafka's Gedankrngänge

Kafka war sicher ein sehr innerlicher Mensch, desser Denkart hintergründig und hoechst originell war.  Wie kann man einen Menschen wie ihn im täglichen Umgang präsentieren?  Kampfmüller ist auch nicht imstande, in Kafkas Gehirn einzudringen.  Aus diesem Grunde findet man im Buch keine direkte Rede von Kafka.
Dora koennte auch nicht dem Gedankengang von Kafka folgen.  Also ist es verständlich, dass er nicht philosophisch mit ihr wächst.  Philosophische Gespräche mit seinen Freunden, etwa mit Max Brod, würden als Abschweifungen wirken, weil diese Geschichte nichts anderes als eine Liebesgeschichte ist.  Dem Verfasser ist es aber doch gelungen, Kafkas Persönlichkeit, wenn auch in einem beschränkten Sinn, aus seiner Handlungen hervorsteigen zu lassen, eine Leistung nicht nur seiner Untertreibungskunst, sondern auch seiner bildhaften Erzählungsweise.

4. Politik

Kafka leidet an Tuberkulose and stirbt gleichsam vor unseren Augen.  Gerechtigkeit in Deutschland zu jener Zeit lit auch gleichsam an einer schrecklichen Krankheit, und wird ungefähr zehn Jahre nach Kafkas Tod zugrundegehen, um zu auferstehen, wie Kafkas Ruf, von den Aschen des zweiten Weltkriegs. Kumpfmüller predigt nicht; er deutet die soziale Krankheit nebenbei an, und nur wenn sie integral mit der Handlung verbunden ist.  Diese Unterbetonung wirkt noch erschreckender als mehr Detaile der Gefahr darstellen  könnten--das Ungeheuerliche kommt, aber niemand ahnt es. Ein Beispiel folgt.

Obwohl Kafka und Dora vollkommen glücklich in Berlin sind, hat er immer noch Augen für die Schönen.  Auf der Strasse bemerkt  er eine Gruppe vorbeipassender Mädchen.  Eins lächelt ihn an

Im Botanischen Garten auf einer Bank bei herrlichstem Sonnenschein geht eine Gruppe Mädchen an ihm vorbei; wie ein Liebesabenteur fängt es an.  Eine hübsche lange Blonde, Jungenhafte, die ihn kokett anlächelt, das Mäulchen aufstülpt und ihm etwas zurut.  Das ist, so scheint es, der Vorfall.  Er lächelt überfreundlich zurück, noch als sie sich später mit ihren Fruendinnen oefter nach ihm umdreht, lächelt er, bis ihm allmählich aufgeht, was sie gesagt hat.  Jud hat sie gesagt.

                                                                                                                   (S. 89)

An einer anderen Stelle diskutieren Max und Franz den Putsch von 1923; Dora hört an der Schwelle der Tür zu; sie ist neidisch dass sie, weniger gebildet, dem Gespräch nicht anschliessen darf. Hitler wird nur dieses einmal, ohne Namen, und nur im Vorübergehen erwähnt.  Ein Meister der Untertreibung ist Kampfmüller, ohne Zweifel!


5. Der Tod

Der sterbende Kafka--er kann nicht mehr sprechen--sieht endlich völlig ein, wie gut Dora ist:

Müsste er sagen, wie ihm ist, würde er zugeben, dass es ihm nie schlechter gegangen ist.  Aber er kann klar denken, schreibt schoen brav die Zettel, bewundert die Geduld. die Robert und Dora mit ihm haben und die er im umgekehrten Fall womoeglich nicht hätte.
                                                                                                             (S. 225)

Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben denkt er an andere, und nicht nur an sich.  Mit diesen paar Worten sieht der Leser ein, dass die Liebe angefangen hat, Kafka aus seiner Selbstbessenheit zu befreien.  Die Tragödie steht vor uns entlarvt--Gerade als Kafka das Wichtigste--die Liebe--erfährt, muss er auch dabei das Schrecklichste--den Tod--miterfahren.

Obgleich wir ahnen, wie sein Tod sie bedrücken muss, heult Dora nicht, sondern gleich nach seinem Tode  seinen Körper wäscht, eine Geste die uns zeigt, wie sehr sie ihn liebte.

Im ganzen Roman kommen die Worte, ich liebe dich, nicht vor.  Der Verfasser bringt diese Liebe vor unsere Augen durch die Handlung; die Auswirkung wirkt viel besser als wenn der Verfasser versucht hätte, sie durch Liebeserklärungen zu erreichen.  Wir brauchen sie nicht.

Was wir aber brauchen sind mehr Romane wie dieser.


                                                                                         Thomas Dorsett


Anmerkungen

Mein besonderer Dank gilt Mary Upman vom Deutschen Literaturkreis in Baltimore.  Sie hat diese Rezension vorsichtig korrigiert and verbessert  Vielen Dank, Mary!

Unser nachstes Treffen findet am 27. April 2014 statt, wann wir den Roman "Ruhm" von Daniel Kehlmann diskutieren werden.  Kurz danach werde ich eine Rezension auf diesen Blog stellen.  Ich lade Sie an, das Buch und die Rezension zu lesen, und danach Ihre Meinungen im Kommentarfach abzugeben.


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